
Die Eingewöhnung in der Kita ist nicht selten für alle Beteiligten, d.h. Kinder, Eltern und Fachkräfte, ggf. aufregend, voller neuer Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse, aber auch eventueller Erwartungen, Vorstellungen, Anstrengungen, Sorgen oder sogar Ängsten. Wenn zusätzlich noch Faktoren wie z.B. eine Behinderung bzw. Entwicklungsverzögerung oder -störung des Kindes vorliegen, können sich schnell weitere Herausforderungen summieren. Aber auch kulturelle Unterschiede durch einen evtl. Migrationshintergrund oder sprachliche Barrieren (DAZ – Deutsch Als Zweitsprache) können für Kinder, Eltern und Fachkräfte eine besondere Aufgabe in der Eingewöhnung darstellen.
- Wie erkläre ich einem vierjährigen ukrainischen Kind, das keine deutsche Sprache versteht oder sprechen kann, dass seine Mama wiederkommt?
- Wie baue ich eine Beziehung zu einem Kind auf, das sich aufgrund seiner Behinderung aus dem Autismusspektrum in seiner „eigenen Welt“ bewegt?
- Wie begegne ich elterlichen Sorgen, Vorstellungen, Forderungen und Ansprüchen? Muss ich noch weitere Details in der Elternarbeit beachten? Stichwort: Kulturelle Unterschiede bzw. Diagnosebewältigung?
- Und wie bewusst sind mir meine eigenen Vor-Stellungen im Bezug auf die Eingewöhnung, Fähigkeiten des Kindes, evtl. Schwierigkeiten etc.?



Vorurteilsbewusste Haltung
Wir alle haben Vorurteile. So hart dies auch klingt und so viel Widerstand sich in uns auch mobilisieren mag, wir Menschen kategorisieren und bewerten unsere Umwelt täglich in wenigen Millisekunden, um z.B. Personen und Situationen einzuordnen und uns zu orientieren. Dabei suchen wir nach Merkmalen, die uns bereits (vermeintlich) bekannt sind. So kategorisieren wir z.B. nach Merkmalen der Ähnlichkeit, der Unähnlichkeit oder anderen theoretischen Überlegungen.
Das dramatische daran ist, wir Menschen neigen dazu, dabei nach Dingen zu suchen, die unsere Hypothesen, Bewertungen und Erfahrungen bestätigen, anstatt sie zu widerlegen (Stichwort: Selbsterfüllende Prophezeiung). So bestätigten wir uns permanent lieber negative Dinge, sowohl über uns selbst, als auch über andere („Das Kind ist so doch NICHT TRAGBAR – das können wir doch NIEMALS leisten?!), als uns der Möglichkeit zu öffnen, dass es anders sein könnte.
Als Fachkraft sollte ich mir meiner möglichen Vorurteile im Bezug auf eine anstehende Begleitung stets bewusst sein. Welche Erwartungshaltung habe ich im Bezug auf die Eingewöhnung? Mit welchen Schwierigkeiten rechne ich und warum? Beruhen meine Vorstellungen auf konkreten Erfahrungen mit dem jeweiligen Kind oder ggf. auf ähnlichen Erfahrungen?
Meine Vor-Urteile bzw. Vor-Stellungen stelle ich womöglich vor etwas – nämlich die eigentliche Realität. Wenn meine Vor-Urteile und Vor-Stellungen somit unbewusst handlungsleitend werden, kann das einen gegenseitigen Beziehungsaufbau und eine Sensibilisierung immens erschweren.
Wenn wir Menschen aufgrund des Fehlens bestimmter Fähigkeiten oder Kompetenzen be- oder abwerten und und davon ausgehen, dass sie bestimmte Tätigkeiten oder mögliche Verhalten nicht bzw. nie (erlernen) können, sprechen wir von Ableismus. Der Begriff Ableismus bezieht sich dabei konkret auf eine vorurteilsbehaftete Einstellung und Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderung.
Demgegenüber steht eine ressourcen- und stärkenorientierte, individuelle und interaktive Unterstützung für mehr Selbstbestimmung, (Selbst-)Ermächtigung und Partizipation. Getragen von einer hoffnungsvollen Zukunftsperspektive und einem tief verwurzelten Vertrauen in die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte jedes Menschen, seine Entwicklungsaufgaben gut zu erfüllen.
» Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung (ein Vorurteil)
zu zertrümmern als ein Atom «
– Albert Einsteiner
Fokus auf der Elternarbeit
„Die eigene Familie und Kindertageseinrichtungen sind die wichtigsten Lebenswelten und Sozialisationsinstanzen für Kleinkinder. Nur eine Zusammenarbeit kann dem ganzheitlichen Kindeswohl entsprechen.“ (Handbuch für Inklusion, Petra Wagner, S. 249, Herder Verlag 2017)
Die Begleitung bzw. Arbeit mit Eltern beeinträchtigter Kinder setzt bei pädagogischem Fachpersonal meist ein besonderes Maß an Einfühlungsvermögen, Fertigkeiten der helfenden bzw. klientenzentrierten Gesprächsführung, entsprechender Berufserfahrung sowie eine reflektierte Beziehung zur eigenen Haltung und pädagogischen Professionalität voraus. Gerade Eltern beeinträchtigter Kinder sind häufig besonders belastet. Sie befinden sich meist auf einem langen Leidensweg, welcher nicht selten das gesamte Familiensystem ins Ungleichgewicht stürzt. Weiter isolieren sie sich evtl. häufiger und erleben möglicherweise eine erhöhte Abhängigkeit und „Überprüfung“ durch Institutionen (Frühförderstellen, Ärzte, Kita, etc.). So kann es sein, dass man sich als pädagogische Fachkraft mit elterlichen Bewältigungsstrategien konfrontiert sieht. Dies können z.B. Verleugnung einer Behinderung, aggressive oder kompensierende Problemverarbeitung oder depressiv-resignierende Reaktionen sein.
Dann wird klar, dass aufgrund der Belastungen und Bewältigungsaufgaben der Familien, die Begleitung und deren Maßnahmen zur Wahrung des Kindeswohls sowohl inhaltlich (qualitativ) als auch in der Häufigkeit (quantitativ) intensiver ausfallen.
„So wird es zur Aufgabe, den Eltern zu helfen, zu einer für die Behinderung realistischen und angemessenen Haltung gegenüber sich selbst und gegenüber dem Kind, dessen Geschwistern und der Umwelt zu gelangen.“ (Heilpädagogische Erziehungshilfe und Entwicklungsförderung, Wolfgang Köhn, S.415, Universitätsverlag Winter GmbH 2008)
Auch hier gilt es, die Eltern als Experten und Expertinnen für ihr Kind und dessen Bedürfnisse und Kompetenzen abzuholen und wertzuschätzen. Du als Fachkraft bist Experte/Expertin für den Prozess.



Beziehung als Basis
Eine verlässliche und sichernde Bindung ist auch in der Eingewöhnung von beeinträchtigten Kindern die grundlegende Basis für eine ressourcen-, stärken- bzw. bedürfnisorientierte Entwicklungsbegleitung. Eine inklusive Eingewöhnung birgt für mich bereits einen klaren Auftrag, denn der Begriff „Inklusion“ hat seinen Ursprung im Lateinischen. Das Verb „includere“ kann mit „einlassen“ und das Substantiv „inclusio“ mit „Einbeziehung und Einschließung“ übersetzt werden. Wir als Fachkräfte sind aufgefordert, uns auf die Kinder, mit all ihren Bedürfnissen, Kompetenzen und Lernmöglichkeiten, einzulassen.
Dafür kreieren wir gemeinsame, positive und verbindende Erfahrungen, knüpfen an Stärken und Interessen des Kindes an und lassen uns auf Beziehungsangebote bzw. Vertrauensvorschüsse der Kinder ein. Weiter sollten wir uns von einem hoffnungsvollen Vertrauen leiten lassen, dass jedes Kind, so hoch die Bedürftigkeit auch sein mag, die Fähigkeit und das Bedürfnis in sich trägt, sich zu entwickeln und zu entfalten.